Sonja Neuhaus
Wege in die Lebendigkeit
Praxis – Institut

 

Angst

Foto Angst

Wenn wir die Angst übernehmen...

Früher habe ich von mir selbst geglaubt, dass ich ein angstvoller Mensch bin. Angst bestimmte mein Leben. Die Angst war für mich zu einem vertrauten Feind geworden, denn sie hinderte mich an meinem Leben, dass ich führen wollte.

Es war immer das gleiche. Ich wollte etwas machen und dann setzten die Gedanken ein, dann kamen die körperlichen Gefühle dazu und dann entschied ich mich, etwas nicht zu tun.

Es ging so weit, dass ich manche Dinge in meinem Leben gar nicht erst begann. Innerlich fror ich immer mehr ein. Erstarrt zog ich mich zurück.

Zu der Zeit lebte ich noch in Lübeck, im Haus meiner Eltern. Ich kann mich erinnern, dass ich das Auto so vor der Tür parkte, dass ich nur schnell über die Straße laufen musste, um zu Haustür zu kommen. In der Hand hielt ich den Autoschlüssel, immer bereit, mich zu verteidigen.

Wovor, das wusste ich eigentlich gar nicht so sehr. Es war immer eine unspezifische Angst, die ich nicht greifen konnte.

Innerlich wusste ich, ich muss zu Hause weg, da ich spürte, es hat etwas mit meinen Eltern und ihrer Geschichte zu tun. Aber auch das war unspezifisch und nicht greif- und schon gar nicht erklärbar.

Als das Leben mir dann die Chance auf Veränderung bot, griff ich zu und zog in die Nähe von Köln zu einem Mann, den ich auf einem Fest kennen gelernt hatte.

Hier spürte ich zum ersten Mal, dass die Angst nicht wirklich zu mir gehörte, denn er half mir – einfach durch seine Art das Leben zu leben – mich aus meinem Kokon zu befreien.

Mit 27 Jahren fing ich an, ein Leben ohne ständige Angst zu leben. Das war ein gutes Gefühl.

Ich merkte, dass es mir guttat, knapp 600 km Abstand zu meiner Herkunftsfamilie zu haben und wenn wir telefonierten oder wir uns sahen, hatten wir auch eine gute Zeit.

Die Angst nahm einen „normalen“ Platz in meinem Leben ein.

Die Zeiten änderten sich, Single-Zeit, neuer Partner und ich wurde dann mit 34 Jahren das erste Mal und mit 36 Jahren das zweite Mal Mutter.

Ich mache nun einen Sprung zu meinem 40. Lebensjahr. Die Zeiten zwischen 27 und 40 sind eigene Blogbeiträge wert, da in ihnen viel passierte, mich weit über meine Grenzen brachten und mir so einiges abverlangten.

Als ich 40 Jahre alt wurde, starb mein Vater mit 80 Jahren. Meine Mutter wollte in meinem Elternhaus nicht bleiben und nach einigen hin und her, willigte sie ein, zu uns nach Nettersheim in das Nachbarhaus zu ziehen.

Ich dachte, ich hatte in mir alles geklärt und genügend inneren Abstand, um so eine Nähe wieder zu leben.

Womit ich nicht rechnete – die Angst, die die ganze Zeit tief in mir geschlummert hatte – machte sich Schritt für Schritt wieder auf den Weg an die Oberfläche meines Seins.

Mein Pferd war der erste, der das bemerkte und er veränderte sich mir gegenüber. Nicht nur das – er war sehr brachial und zeigte mir auf sehr deutliche und heftige Art, dass ich nicht in meinem Selbst bin, wenn ich die Angst lebe.

Es fing wieder so an, wie ich es bereits von Lübeck her kannte, ich konnte mich immer weniger bewegen und erstarrte innerlich mehr und mehr.

Diese unspezifische Angst übernahm wieder die Oberhand und ich konnte sie gefühlsmäßig nicht mehr von mir trennen. Ich nahm sie wieder als meine an.

In dem Haus, in dem meine Mutter lebte, eröffnete ich im ersten Stock eine kleine Pension mit drei Zimmern.

Die Pension brachte mir den Lebensintegrationsprozess nach Wilfried Nelles ins Haus. Denn meine allerersten Gäste waren Teilnehmer eines seiner Seminare.

Wiederum von Gästen bekam ich das erste Buch von ihm „Umarme das Leben“ geschenkt.

Ich merkte, wie meine Seele jubilierte.

Schritt für Schritt las ich seine Bücher, hatte Kontakt mit Menschen aus seinen Ausbildungen und wusste, wohin für mich die Reise geht.

Als ich dann selbst die Ausbildung machte und auf mein Leben blickte, veränderte sich die Wahrnehmung meiner Angst.

In diesen Prozessen erkannte ich, dass die Angst nicht meine war. Sie war ein großer Bestandteil meiner Herkunftsfamilie und ich hatte sie mit übernommen.

Schon im Mutterleib ging ich mit ihr in Resonanz und konnte daher in der engen Verbindung zu meinen Eltern und später wieder zu meiner Mutter, nicht unterscheiden was meine Angst und was ihre Angst war.

Als Kind geht es immer um das Wohl der Familie, da diese für es zum Überleben wichtig ist. Und was zu tragen ist, wird getragen – unbewusst und ganz instinktiv.

Bei mir war es eben die Angst. Diese Erkenntnis und die Wahrnehmung wie es gewesen war brachte ein Riss in das Bild was ich von mir hatte.

Stück für Stück gelang es mir, die Angst als Freund zu behandeln und sie anzunehmen als Teil meiner Geschichte.

Damit öffnete sich eine Tür zu meinem Selbst.

Heute weiß ich, dass mein Bild über mich selbst so nicht stimmte. Ich bin kein angstvoller Mensch. Ich bin ein Mensch, der sein eigenes Tempo geht, Pausen braucht und seinen eigenen Raum.

Nachdem ich mich so sehen konnte, fing ich an, mich selbst zu lieben wie ich bin.

Das brachte Leichtigkeit und viel inneren Frieden in mein Leben.

An manchen Tagen zeigt sich die Angst noch einmal. Dann begrüße ich sie wie einen alten Freund und schaue auf das was sich zeigen will.

Das hat meine Wahrnehmung und mein Vertrauen in das Leben verändert und es ist alles gut wie es gewesen ist.

Ich wäre heute nicht die, die ich bin.