Sonja Neuhaus
Wege in die Lebendigkeit
Praxis – Institut

 

Die Macht der Bilder

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Auch wenn wir heute in einem modernen Zeitgeist leben und uns als aufgeklärt empfinden und sehen, so ist unsere Auffassungsweise immer noch wie vor Beginn der Sprache.

Früher kommunizierten die Menschen mit Lauten und mit Bildern. In den Sand gemalt, auf Stein, in Höhlen und auf allen was sich finden ließ. So erzählten sie ihre Geschichten, so wiesen sie auf Jagdmethoden und ähnlichen hin.

Wirklich geändert hat sich bis heute immer noch nichts daran.

Wir leben heute sogar in einer permanenten Flut von Bildern.

Dies macht es für uns Erwachsene schon nicht einfach, sich selbst dabei noch sehen zu können – für Kinder und Jugendliche ist es eine Mammutaufgabe, sich selbst dabei zu finden.

Für jede Richtung, in die wir uns bewegen, gibt es vorgegebene Bilder. Es wird dadurch immer schwieriger, seinen Weg darin zu finden. Die Idee gar unbeeinflusst und frei, sich selbst zu finden, ist bei der Menge an Bildern schlicht unmöglich.

Wenn dann noch die Worte dazu kommen, die Label aus Bildern machen, werden die Räume für das eigene Selbst immer kleiner.

Gefühle und Gedanken werden da genauso katalogisiert, wie vorher Rollenbilder von Mann und Frau.

Doch lassen sich Gefühle nicht in Schubladen stecken, da sie komplett persönlich und subjektiv sind.

Allein der Versuch, Gefühle zu bewerten oder einen Gefühlszustand wie einen Beipackzettel eines Medikamentes zu beschreiben und damit einzugrenzen, führt dazu, dass die Räume für jeden einzelnen immer enger und kleiner werden.

Man kann den Versuch unternehmen, Gefühle mit eigenen Worten zu beschreiben, aber einfacher wäre es, demjenigen Pinsel und Farben in die Hand zu drücken und die Gefühle malen zu lassen. Dann wären wir wieder beim Bild und legen die Gefühle mit Worten nicht fest.

Sich da zurecht zu finden, ist nicht einfach.

Der eigene Raum ist ein ganz sensibler Bereich und es braucht eine offene Welt ohne Schubladen, um über sich hinaus zu wachsen und um sich entfalten zu können.

Für viele Jugendliche ist der Bilder- und Label-Dschungel so verwirrend, dass sie am Ende gar nicht mehr wissen wer oder was sie sind.

Sperren wir die Raupe in eine Schublade, wird aus ihr nie ein Schmetterling werden.

Was können wir als Gesellschaft – als Eltern tun, um in dieses Dickicht Licht und Ruhe reinzubringen?

Meines Erachtens hilft uns dabei nur ein offener Raum, in dem sich der jeweilige Mensch bewegen und entfalten und wo er wachsen kann.

Der erste Schritt in die Offenheit ist das Sehen des anderen so wie er in diesem Moment ist.

Ohne Wertung und ohne Erwartung.

Auch das ist nicht so einfach, da es für uns Eltern auch Schmerz bedeutet, wenn sich die eigenen Kinder anders ent-wickeln als man es sich so vorgestellt hat.

Was in dem Moment stirbt, wenn ich mich in diesen offenen Raum begebe, ist das Bild was ich mir von meinem Kind gemacht habe.

Was ich gewinne ist eine neue Offenheit zwischen meinem Kind und mir.

Mein Kind gewinnt eine wirkliche Begleitung in die Offenheit der Welt und - auch wenn es das immer seltener braucht als noch früher – einen Ort es Rückzuges in dieser mit permanenten Bildern überflutenden Welt.

Ich möchte diesen Beitrag mit drei Bildern beenden.

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