Sonja Neuhaus
Wege in die Lebendigkeit
Praxis – Institut

 

Perspektivenwechsel

Perspektivenwechsel

In der Kindheit sind unsere Eltern der Mittelpunkt unseres Lebens. Hier dürfen wir verweilen, Kraft tanken, Liebe erfahren, trotzen, trauern, uns freuen und vor allem eins : 

Wachsen!

Wenn wir älter werden, wird dieser Wunsch nach Wachstum und Raum immer größer. Wir steuern irgendwann unweigerlich in die Jugend.

 

Die Jugendzeit ist wie eine zweite Geburt in unserem Leben. Sie ist ein heftiger Ablöseprozess - sowohl körperlich wie aber auch geistig. Zum ersten Mal in unserem Leben erfahren wir die Abhängigkeit zu unseren Eltern als Last und Bürde - nicht mehr als Ort der Sicherheit und Geborgenheit.

Unser Körper verändert sich, alles wird plötzlich anders wahr genommen, schmeckt, riecht und fühlt sich anders an.

Unsere Gedanken werden zu unserem Leuchtturm in der Nacht. Dorthin wo sein Licht fällt, wollen wir hin. Unsere Freunde werden nun wichtiger als unsere Familie. Ohne sie fühlen wir uns verloren - so wie einst in der Kindheit, wenn wir unsere Eltern nicht in unserer Nähe wussten.

Es ist die Zeit, in der wir als Jungendlicher die Eltern als schwierig empfinden. Wo vorher noch Verständnis und Wohlwollen war, erleben wir nun Enge, Grenzen und empfundene Bevormundung. Gleichzeitig erwarten die Eltern, dass man mehr und mehr Verantwortung übernimmt für sein Leben und einen Plan entwickelt, wohin die Reise gehen soll.

Eine wirklich schwierige Zeit....

Mit vielen Themen aus dieser Zeit habe ich als Erwachsene immer noch mit meinen Eltern - speziell mit meiner Mutter, denn sie war meine Hauptansprechpartnerin in dieser Zeit - gehadert. Sah meine Probleme in meinen Leben als Ergebnisse ihrer nicht aufgelösten Geschichten, die sie daran hinderten, mir den Raum und die Weite gegeben zu haben, damit ich wachsen und meine Flügel zum Himmel strecken konnte.

Nun werde ich in diesem Jahr in einem Monat 50 Jahre alt und habe meine Themen, die ich mit ihnen hatte, für mich geklärt und bin in Frieden damit. Ich habe erkannt, dass es nur so und nicht anders für sie und damit auch für mich laufen konnte. Und ich heute nicht die wäre, die ich bin, wenn mein Leben nicht genau so verlaufen wäre, wie es das getan hat.

Heute schaue ich zu meinen Eltern und sehe zwei Menschen, die den Stürmen ihres Lebens getrotzt haben und unser Schiff versucht haben, gut durch die Wogen des alltäglichen Lebens zu schiffen. Dass sie immer gehofft haben, dass das Leben es gut mir mit meint und ich mir ihrer Liebe immer sicher war - egal wie es gerade in meinem Leben ausgesehen hat.

Trotz dieser Erkenntnis und meinem Frieden, den ich innerlich mit meinen Eltern habe, blieb immer noch ein letzter Rest jugendliches Trotzes und Aufbegehrens in mir.

Diesen darf ich nun auch betrachten und mit ein wenig Zeit, Ruhe und vielen Inneneinsichten darf ich diesen auch los lassen. Es sein lassen wie es war.

Ich habe die Perspektive gewechselt - nicht ganz freiwillig - denn die Jugendzeit ist wieder bei uns eingezogen ....

Seit nun bald 16 Jahren bin ich selbst Mutter von zwei Söhnen. 

Aus den Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend habe ich vieles anders gemacht und habe auch meine Geschichten aufgeräumt. So wähnte ich mich sicher, dass ich davon verschont bleiben würde, was die Gefühle und Ansichten angeht, die ich meinen Eltern gegenüber hatte.

Seit dem letzten Wochenende ist dies anders...

Ich saß meinem jugendlichen Sohn gegenüber und hatte ein Dejavu - ich sah mich selbst da sitzen...

Ich kann so gut nachvollziehen, was bei ihm gerade los ist. Das hilft mir selbst aber nur zu einem Teil, denn mit meinem Anteil als Mutter erlebe ich einen anderen Schmerz, mit dem ich so nicht gerechnet habe.

Es ist der Schmerz des Loslassens, des Ziehen lassens. Der Schmerz der Erkenntnis, dass die Zeit der Kindheit ein für alle mal vorbei ist. Dass ich nicht mehr die Beschützerin bin, die Quelle der Geborgenheit und der Freude. Dass die Zeit gekommen ist, wo er seine eigenen Wege in immer mehr Eigenverantwortung gehen will und auch gehen soll und darf.

Es kann noch soviel geschrieben werden, dass es wichtig ist, die Jugendlichen ihren Raum erobern zu lassen und dass man als Eltern die Türen zum Leben da draußen immer weiter öffnet.

Der Schmerz darüber - vor allem als Mutter - muss man allerdings selbst erfahren.

Es ist ein ewiger Kreislauf - von Zeugung, Wachstum, Geburt, Kindheit, Wachstum, Jugend, Wachstum,  Reife und Erwachsensein. Man kann davon nichts auslassen oder überspringen wollen.

Jede Phase hat ihre eigene Zeit, ihren eigenen Zauber, ihren eigenen Schmerz.

Ich bin dankbar, dass ich nun erneut wachsen darf und sich mein Blick zu meinen Eltern und meiner eigenen Jugend und Reifezeit dadurch nochmals ändert und der Rest des Aufbegehrens und der "Schuldzuweisung" immer leiser wird.

Meinen heranwachsenden Söhnen wünsche ich das, was mir meine Eltern auch mitgegeben haben:

dass sie das Leben trägt, sie Liebe erfahren und Vertrauen finden, in sich selbst und im Leben.

Und dass sie wissen, dass unsere Tür für sie immer offen steht und sie sich meiner Liebe immer sicher sein können....