Sonja Neuhaus
Wege in die Lebendigkeit
Praxis – Institut

 

Zeitgeist

Zeitgeist 2

Welcher Zeitgeist umgibt uns?

Aus aktuellem Anlass möchte ich heute mit euch den uns umgebenden Zeitgeist betrachten.

Was macht man, wenn aus einer Bagatelle sich über eine Woche hin das Ganze über verbale Entgleisungen, versuchten körperlichen Attacken und Aufhetzen von anderen in einem körperlichen Übergriff auf das eigene Kind entlädt und dieses mit kaputter Brille und Verletzung nahe dem Auge von der Schule nach Hause kommt?

Natürlich könnte man das ganze nun bagatellisieren, in dem man sagt, „ja, das passiert halt schon mal unter Jungs in dem Alter“. Das habe ich bereits in meiner Jugend gehört und diese ist nun bereits gute 35 Jahre her.

Schon damals habe ich es irritierend gefunden, dass über Sätze und Wörter gestritten und diskutiert wurde, wenn es dann aber in körperlichen Auseinandersetzungen endete, dann hieß es plötzlich „ja, das kann schon mal passieren“. Oder „wie sieht es denn dort zu Hause aus?“.

Ist es damit schon erledigt oder erklärt? Dass es im Elternhaus nicht gut gelaufen ist? Dass derjenige, der zum Täter wurde, das eigentliche Opfer ist?

Ich weiß, dass ich hiermit einen schmalen Grat betrete, da jeder Täter auch Opfer ist und jedes Opfer auch Täter. Und dass es natürlich kein Schwarz-Weiß gibt und dass wir uns damit das ganze auch zu einfach machen.

Nichtsdestotrotz möchte ich mich damit heute hier beschäftigen.

Denn meines Erachtens fehlt eines in der Betrachtung von Angriffen gleich welcher Art immer wieder.

Und das ist der uns alle umgebende kulturelle und gesellschaftliche Zeitgeist.

Ich bin nun seit knapp einem Jahr in den öffentlichen sozialen Medien von Instagram und Facebook unterwegs. Was mich immer wieder entsetzt sind die hasserfüllten Kommentare zu Beiträgen, die noch nicht einmal problematische Themen ansprechen.

Wenn es um problematische und grenzgängerische Themen geht, wird teilweise offen zu körperlichen Angriffen aufgerufen.

All diese verbale Gewalt speist unseren Zeitgeist, in dem unsere Kinder heute aufwachsen. Da können wir als Eltern sie noch so sehr behüten – dieser Zeitgeist beeinflusst und vergiftet das soziale Miteinander.

Ich möchte dazu mit euch einen kurzen Textausschnitt aus dem Buch „Männer, Frauen und die Liebe“ von Wilfried Nelles teilen:

„Noch etwas sollte man wissen: Kinder kann man nicht hinters Licht führen. Sie wissen beziehungsweise spüren ganz genau, was in einer Familie vor sich geht. Sie haben einen perfekt funktionierenden Kompass für Leerstellen und Unordnung und merken genau, wenn etwas unter den Teppich gekehrt und verdreht wird. Sie mögen es nicht bewusst durchschauen, aber sie spüren es, und ihre Seele reagiert darauf.“ (S. 176)

So wie Kinder ihre eigenen Eltern lesen, lesen sie auch die sie umgebenden Erwachsenen.

In einem Zeitalter, in dem du sekündlich neue Informationen, Bilder und eben auch Kommentare abrufen kannst, ist es noch wichtiger geworden, dass wir Erwachsenen eine klare Haltung zeigen.

Mich bewegt dieses Thema sehr und ich frage mich selbst auch, wo schaue ich weg, verharmlose oder reagiere mit Hass, Unverständnis, Wut oder Aggression auf Themen, die mich eigentlich verwirren, ängstigen oder mich ohnmächtig zurücklassen.

Was können wir also machen, um den Zeitgeist mit einer anderen Energie zu „füttern“?

Geht das eigentlich?

Ja, in dem ich bei mir selbst anfange.

In dem ich anfange zu erkennen, dass Angst, Irritation und das Gefühl von Ohnmacht (ohne Macht) einen tiefen inneren Schmerz in mir auslösen.

Wenn ich mich diesem hingebe, betrete ich einen neuen Raum. In diesem Raum erkenne ich, dass keine Strafe der Welt in mir Vergebung für den Täter auslöst. In diesem Raum erkenne ich auch, dass Vergebung ein Prozess des Miteinander ist. Dass wir dazu Ruhe brauchen und keine Hysterie.

Hier erkenne ich auch, dass die Glut des Hasses schnell wieder aufflammen kann sobald jemand Öl in die Glut hineingießt.

Dass Frieden ein schmaler Grat ist und ich jeden Schritt besonnen und langsam gehen muss, um nicht in den Abgrund zu fallen.

Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft, dass sie es schafft in dieser schnelllebigen, hysterischen Zeit Räume zu bauen, in denen Versöhnung und ein wirklich offenes Miteinander stattfinden kann.

In der wir unsere Kinder in die Schule schicken können und sie nicht durch Worte oder Taten verletzt nach Hause kommen…

Zur Inspiration für einen anderen Zeitgeist:

https://youtu.be/dT4hLudO-is?si=8ThKT5iRTLEsiPuv